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Trotzen – die vermeintliche Schwäche

Jedes Kind erlebt bei den unzähligen Lernprozessen, die es durchlebt, immer wieder Frustration, die sich in Aggression, Wut und Trotz zeigen kann. Solche Gefühle sind wichtig und richtig. Eltern können lernen, ruhig und gelassen darauf zu reagieren.

Wievielmal am Tag sagen Eltern und andere Erziehungspersonen zu einem Kind: «Sei nicht so wütend!» und versuchen es zu beschwichtigen. Doch damit missachten sie sein echtes Gefühl, was das destruktive Ausleben der Aggression meist noch fördert. Dass Erwachsene auf Aggression so oft mit Missachtung reagieren, liegt wohl daran, dass Wut, Jähzorn, Aggression und auch Trotz als etwas Negatives betrachtet werden. Dabei gehören diese Gefühle zu den Grundemotionen, genauso wie Liebe, Freude und Trauer. Das Ausdrücken dieser Gefühle macht Sinn. Wichtig dabei ist einzig, dass Kindern ermöglicht wird, ihre Aggression konstruktiv auszuleben. Wie sollen sich also Eltern gegenüber den Wut- und Trotzausbrüchen ihrer Kleinkinder richtig verhalten?

In erster Linie braucht es eine grundsätzliche Akzeptanz gegenüber allen Gefühlen. Diese sind weder gut noch schlecht, sondern notwendiger und sinnvoller Ausdruck von relevanten Informationen. Durch eine ruhig und gelassen ausgedrückte Rückmeldung wie «Ich merke, dass du wütend bist», können sie dem kleinen Trotzkopf zu verstehen geben, dass sie seine Gefühle wahr- und ernstnehmen. Sehr oft reicht dieses «wahr- und ernst genommen-fühlen» bei Kleinkindern, um wieder zur Ruhe zu kommen. Der Kinder- und Jugendpsychologe Jesper Juul bezeichnet diesen Prozess als «Gesunden Konflikt». Wenn Eltern es nicht aushalten, ihr Kind wütend und frustriert zu erleben, unterbrechen sie diesen wichtigen Prozess. Viele Eltern möchten diese «negativen» Gefühle beim Kind vermeiden, um wieder das glückliche und zufriedene Kind vor sich zu haben. Sie geben ihrem trotzenden Kind nach, obwohl sie wissen, dass dies nicht zielführend ist.

Meist ist es sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten und abzuwarten, bis sich die emotionalen Wogen etwas geglättet haben, um dann den aufrichtigen Dialog mit dem Kind zu suchen und zu verstehen, was seinen Ärger, seine Wut oder seine Trotzreaktion verursacht hat. Ergreift man stattdessen Partei, bewertet, moralisiert und macht Vorwürfe, wird die Not des betroffenen Kindes wachsen und sein Verhalten massiver werden. Darf ein Kind alle Gefühle zeigen und erfährt es, dass es darin nicht bewertet, sondern wahrgenommen und verstanden wird, braucht es keine Zuspitzung seines Verhaltens, um auf existenzielle Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Denn paradoxerweise führt nicht die Tabuisierung von Aggression zu weniger Gewalt, sondern ihre Akzeptanz. Aggressive Gefühle auszudrücken gehört zum gesunden Verhaltensrepertoire von Menschen. Erst die Tabuisierung und Geringschätzung führt zu destruktiven Varianten wie beispielsweise Gewalt. Geben wir also den Kindern in den Beziehungen zu Hause und in der Schule die Chance, sich ganz zu zeigen, mit den schönen, aber auch den schmerzhaften und abgrenzenden Gefühlen. Helfen wir ihnen zu differenzieren zwischen dem, was sie fühlen, und dem, was sie tun, damit sie in der Beziehung zu sich und zu anderen Verantwortung übernehmen lernen. Dazu braucht es Regeln, eine gute Portion Konsequenz, eine liebevolle Kommunikation sowie eine ruhige und gelassene Grundhaltung.